Freitag, 26. November 2010

Essen ist Leben: Ist Aufklärung Hexenjagd?

Empörung bei der deutschen Ernährungsindustrie und ihrem gleichnamigen Lobbyverband. Die ARD-Themenwoche »Essen ist Leben« nannte der Geschäftsführer des Lobbyverbands, Matthias Horst, »Schrott«. »Wir lassen uns diese Hexenjagd nicht mehr bieten«, verkündet Horst. So wollen die beiden Spitzenverbände der Ernährungswirtschaft in Deutschland, der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) und die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), gemeinsam den attraktiven Gemeinschaftsstand »Power fürs Leben« in Halle 1.2 auf der Internationalen Grünen Woche (IGW) 2011 in Berlin bestreiten.
Am Stand dabei die Kraft Foods Deutschland, Nestlé Deutschland und Unilever Deutschland GmbH, die sich exzellent auf Lebensmitteltechnologie verstehen. Fürs soziale Garnieren steht die Deutsche Welthungerhilfe am gleichen Stand. Die BVE bietet auch Seminare zum Krisenmanagement in der Lebensmittelbranche an. Da heißt es: »Um den stetig steigenden Rückrufzahlen entgegenzuwirken, sollte die Industrie Frühwarnsysteme etablieren. Bestehende Kommunikationsdefizite zwischen Industrie und Handel im Krisenfall müssen durch eine frühzeitige und umfassende Einbindung aller Betroffenen vermieden werden, um ausreichend Zeit für Handlungsspielräume für beide Seiten zu gewährleisten. (…) Dr. Dorit Böckmann, SGS Institut Fresenius, stellte verschiedene Monitoring-Projekte vor, die nicht nur als Frühwarnsysteme dienen, sondern auch krisenbehafteten Produkten zu einem neuen Image verholfen haben.«
Ist das so zu verstehen, dass es weniger darauf ankommt, Produkte und Verbraucherinformation zu verbessern, dafür mehr Imagepflege zu betreiben und Rückrufaktionen zu verhindern, indem Verbraucher und Handel lange hingehalten werden? Wie Tanja Busse herausgefunden hat, zählt in der Lebensmittelbranche nur der Preis und sonst lange nichts. Immerhin täuschen 51.359 Lebensmittelgeschäfte bei 7000 verschiedenen Lebensmitteln Vielfalt und Wahlfreiheit der Verbraucher vor. Die von den Großen der Ernährungsindustrie schon lange unterlaufen werden. Mit »Pseudoauswahl und Konsumentenverwirrung«.
Die Aufklärung durch die ARD-Themenwoche war eingehend, umfassend und notwendig, denn die Lebensmittelbranche hat eine ungebrochene und starke Macht. Zwei Millionen Euro will sie in die Hand nehmen, um ihre Produktionsprozesse in der Öffentlichkeit besser darzustellen. Die Branche will nicht am Pranger stehen und ist sauer auf den Plan der Verbraucherministerin Ilse Aigner, eine Internetplattform gegen falsche oder irreführende Lebensmittelkennzeichnungen zu starten. Eine Idee, die sich vermutlich bei foodwatch und deren Site www.abgespeist.de entzündet hat. Foodwatch-Gründer und –Geschäftsführer Thilo Bode zeigt in seinem aktuellen Bestseller, was von den großen Lebensmittelkonzernen zu halten ist: Es sind »Essensfälscher«. Denn diejenigen, die sich jetzt als Opfer von Aufklärung verfolgt fühlen, lügen uns laut Bode die Teller voll.

Quelle: Norbert Copray in Publik Forum
Tanja Busse; Die Ernährungsdiktatur. Warum wir nicht länger essen dürfen, was uns die Industrie auftischt. Blessing. 334 Seiten. 16,95 €

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