Donnerstag, 28. November 2013

Sammlung betrieblicher Vereinbarungen 2013 - 2014

Die Hans-Böckler-Stiftung betreibt als gemeinnützige Einrichtung das Archiv Betriebliche Vereinbarungen. Dank der Unterstützung vieler Interessenvertretungen können wir inzwischen auf mehr als 14.000 Betriebs- und Dienstvereinbarungen zurückgreifen.

Zu über 90 Themenbereichen bieten wir bereits Auswertungen und Analysen an, stets mit dem Ziel, betriebliche Praktikerinnen und Praktiker konkret zu unterstützen.

Wir bitten in diesem Jahr um die Zusendung von betrieblichen Vereinbarungen zu allen Themenfeldern, die in den vergangenen zwei Jahren abgeschlossen wurden.

Es sollte sich nach Möglichkeit um abgeschlossene Vereinbarungen oder ähnliche Regelungen handeln. Dabei sind wir an allen, auch an wenig weit reichenden, Regelungen interessiert. Alle Vereinbarungen, die wir erhalten, werden streng vertraulich behandelt und keinen außen stehenden Personen zugänglich gemacht. Zitate werden nur in anonymisierter Form zugelassen.

Wenn Sie uns Vereinbarungen schicken, erhalten Sie Publikationen der Reihe kostenlos.

Die einmalige, auch unaufgeforderte Zusendung von Vereinbarungen ist uns ebenfalls willkommen.

Bitte schicken Sie die Vereinbarungen an:

Hans-Böckler-Stiftung
Archiv Betriebliche Vereinbarungen
Hans-Böckler-Str. 39
40476 Düsseldorf
Tel.: (0211) 77 78 - 288/167/129
Fax: (0211) 77 78 - 188

Für alle Fragen stehen wir gern zur Verfügung. Wir freuen uns auch, wenn sie diese Nachricht weiterleiten.

Mit freundlichen Grüßen,

Manuela Maschke



Dr. Manuela Maschke
Hans-Böckler-Stiftung
Referatsleiterin Archiv Betriebliche Vereinbarungen
Hans-Böckler-Str. 39
D-40476 Düsseldorf
office: +49/(0)211-7778-224
fax: +49/(0)211-7778-4224
manuela-maschke@boeckler.de
www.boeckler.de/betriebsvereinbarungen



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Montag, 25. November 2013

Nazi-Rüstungsproduktion in der Harzregion

Ein dunkles Kapitel Heimatgeschichte
Von Frank Baranowski

Jüngst erschien ein neues, umfangreiches Buch des Autors Frank Baranowski, das die Geschichte zahlreicher Ort im und am Harz berührt.
Zu einem Zeitpunkt, als im gesamten NS-Reich Kriegsführung und -rüstung erste Zerfallserscheinungen zeigten, der bevorstehende Zusammenbruch der Fronten sich abzeichnete und gezielte Luftangriffe der Alliierten die Schaltstellen der Rüstungsindustrie massiv lähmten, gab es in quasi letzter Minute Bestrebungen, wichtige Rüstungsbetriebe namentlich der
Flugzeugindustrie in den Harz und speziell die Region Südharz zu verlegen. Dies, obwohl die Region um Nordhausen bis dahin in der Rüstungspolitik keine wesentliche Rolle gespielt hatte.

Mit Ausnahme der unterirdischen Munitionsanstalten, die das Heer ab 1934 in stillgelegten Kaliwerken von Bernterode bis Sondershausen eingerichtet hatte, war im Gegensatz zum angrenzenden Gau Südhannover-Braunschweig ein nennenswerter rüstungskonjunktureller Aufschwung bis Mitte 1943 ausgeblieben – allenfalls Zulieferaufträge gingen in geringem Umfang an Betriebe südöstlich des Harzes.

Auch hatten sich bis zu dem Zeitpunkt nur wenige Firmen zum Zwecke der Kriegsproduktion in Nordthüringen neu angesiedelt, so etwa die Gerätebau GmbH oder der Röhrenhersteller Lorenz in Mühlhausen.

In den westlichen Harzkreisen Goslar und Osterode bot sich hingegen ein anderes Bild. Dort ließ sich in den Jahren 1934 bis
1938 eine Vielzahl neu gegründeter Betriebe nieder – eine Vorrangstellung nahmen dabei die chemische und die metallverarbeitende Industrie ein.

Rüstungsproduktion in Göttingen

In Göttingen verzeichneten Unternehmen der Feinoptik starke Zuwächse, ein weiteres wichtiges Standbein stellten Luftwaffenaufträge dar. Noch weitaus prononcierter war die Entwicklung in und um Braunschweig. Die Grundlagen dafür hatte die Reichswehr bereits Anfang der 1930er Jahre
mit ihrem Bestreben gelegt, sich trotz der auferlegten Beschränkungen des Versailler Vertrages ein engmaschiges Netz an Zulieferern für den
„Bedarfsfall“ zu schaffen.

Eine Vielzahl gerade alteingesessener Unternehmen profitierte davon. Bereits frühzeitig warben sie Rüstungsaufträge ein, die ihnen das Überleben in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sicherten, bevor sie später ganz von Rüstungsaufträgen abhängig wurden. So entstand – zudem durch die Ansiedlung der Reichswerke Hermann Göring und einiger anderer mit Staatsmitteln alimentierter Firmen – eine Industriedichte, die im
Reichsgebiet beispiellos blieb und zur Gründung ganzer Städte wie Salzgitter und Wolfsburg führte.

Einsatz von Zwangsarbeitern

Diese Ausweitung der Kriegsproduktion im Gau Südhannover-Braunschweig hatte zur Folge, dass in zunehmendem Maße Fremd- und Zwangsarbeiter
herangezogen, später auch mehr und mehr KZ-Sklaven eingesetzt wurden. Da in der nordthüringischen Industrie ein solcher rüstungskonjunktureller
Aufschwung nicht stattfand, blieb die Nachfrage nach ausländischem Personal zunächst gering. Erst mit der verstärkten Einberufung zur Wehrmacht im Zusammenhang mit dem Überfall auf die Sowjetunion begann ein stetiger Anstieg der Zahl der Fremd- und Zwangsarbeiter; bis Ende 1943 war das allerdings nur in den wenigsten Fällen auf eine wesentliche Aufstockung der Rüstungskapazitäten zurückzuführen.

Allein Rheinmetall-Borsig behauptete mit seinem Betrieb in Sömmerda eine Sonderstellung. Der Konzern hatte in Thüringen unter Missachtung der
Bestimmungen des Versailler Vertrages bereits im April 1921 die Zünderfertigung wieder aufgenommen und im Folgejahr die Entwicklung einer neuen Maschinenpistole vorangetrieben.

Im Oktober 1922 beauftragte
die Reichswehr das Unternehmen, die gesamte von den Alliierten für Deutschland zugelassene Menge an Zündern herzustellen. Unmittelbar nach der Machtübernahme begann Rheinmetall-Borsig mit einer stetigen Ausweitung seiner Kriegsproduktion in Sömmerda, die von nun an nicht mehr verdeckt betrieben werden musste. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich das Werk zum bedeutendsten Rüstungsunternehmen
Nordthüringens.

Das KZ Dora bei Nordhausen

Die wirtschaftliche Situation in Nordthüringen änderte sich in dem Moment, als die Raketenmontage in die von der Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft (Wifo) geschaffene und von Häftlingen des eigens gegründeten Buchenwalder Außenkommandos Dora unter unmenschlichen
Bedingungen ausgebaute Stollenanlage bei Niedersachswerfen verlagert wurde. In ihrer Verblendung plante die NS-Führungselite seit dem
Frühjahr 1944, nach dem Beispiel „Dora“ weitere Produktionsstätten in Nordthüringen unter Tage zu dislozieren, vorrangig solche der Flugzeugindustrie, wie es das Heer seit 1934 vorexerziert hatte. Dadurch
bedingt wurden fast explosionsartig weitere KZ-Außenlager gegründet, um deren Insassen als Arbeitssklaven auf den zahlreichen Baustellen der
Sonderstäbe auszubeuten, bis ihre Lebenskräfte sie verließen. Keine dieser projektierten und unter hohen Menschenopfern in Angriff genommenen „Großanlagen“ ging in Betrieb.

Scheinbare Sicherheit untertage

Gleichzeitig fand ab Mitte 1943 in immer stärkerem Umfang eine oberirdische Verlagerung von wichtigen Rüstungsbetrieben in diesen „Mittelraum“ statt. Die Betriebsverlegungen nahmen derartige Ausmaße an,
dass spätestens im zweiten Quartal 1944 kaum mehr freier Produktionsraum zur Verfügung stand und das Rüstungskommando dazu überging, im ganzen
Gebiet Wirtschaftszweige insbesondere der Textilindustrie zugunsten rüstungsindustrieller Verlagerungsbetriebe stillzulegen. Deren
Nutznießer war erneut vor allem die Flugzeugindustrie, die damit zu einer führenden Stellung in Nordthüringen gelangte. Federführend war dabei der Junkers-Konzern, der zahlreiche seiner dezentralisierten
Betriebe im Harz und Harzvorland unterbrachte.

Schauhöhle Heimkehle

Davon blieben auch die Naturhöhlen Thüringens nicht verschont. In der Heimkehle bei Uftrungen produzierte die Fa. Junkers Flugzeugteile.
Später wurde hier in einem der von Junkers ehemals mit Beschlag belegten Höhlenteile eine Gedenkstätte eingerichtet, die noch heute Bestandteil des Rundgangs in dieser Schauhöhle ist. Seit 2005 steht am Eingang der Heimkehle ein Gedenkstein zur Erinnerung an die KZ-Opfer des Außenlagers Rottleberode.
Mit dieser Verlagerungsbewegung erhöhte sich allein die Zahl der in Nordhausen tätigen Ausländer, bezieht man die in der Boelcke-Kaserne untergebrachten Zivilarbeiter der „Nordwerke“ ein, auf über 10.000. Auf diese Weise kam es im Stadtgebiet zu einem Ausländeranteil von fast 25 %, weit mehr als z. B. in der Industriestadt Essen, die die meisten ausländischen Arbeitskräfte im Arbeitsamtsbezirk Rheinland zählte.

Intention des neuen Buches ist es, diese Strukturveränderungen und ihre Gründe zu analysieren. Es soll der Weg vom „Notstandsgebiet“
Nordthüringen zu einem wenn auch unvollendet gebliebenen Rüstungszentrum dokumentiert und nachgezeichnet werden; eine Zusammenballung von
Waffenschmieden, die als Torso nur durch Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen entstand und Zahllosen das Leben kostete. Als Kontrast
wird im ersten Kapitel ein Blick auf den schon ab 1933 zur Blüte gelangten industriellen Ballungsraum Salzgitter-Braunschweig-Hildesheim
– eines der Rüstungszentren des Reiches von Anfang an – und die weitaus geringer, aber dennoch intensiv vom Rüstungsaufschwung betroffenen südniedersächsischen Landkreise Göttingen, Goslar, Osterode und Northeim geworfen. Bei nahezu gleichen Ausgangsbedingungen nahm die Entwicklung dort einen ganz anderen Verlauf. Der rüstungsbedingte Aufschwung hielt in diesen Kreisen bis Kriegsbeginn an, erhielt nach 1939 durch den Krieg aber keine neuen Impulse. In der Endphase des NS-Regimes blieben hier nennenswerte Verlagerungstendenzen aus, wie sie in Nordthüringen zu
umwälzenden Veränderungen führten. Von gewisser Relevanz waren lediglich die Untertage-Bauvorhaben im Hils bei Holzen (Projekt „Hecht“), in denen
Zwangsarbeiter in großer Zahl zum Einsatz kamen. Nennenswert ist noch der Flugzeugbauer Heinkel, der im Herbst 1944 eine seiner Fabriken aus dem polnischen Mielec nach Bad Gandersheim in Gebäude der Firma Bruns
Apparatebau, die gerade bezugsfertig geworden waren, auslagerte. Er ließ dort von mehr als 500 Häftlingen des werkseigenen KZs Flugzeugrümpfe montieren.

Vorbereitungen schon vor 1933

Es lässt sich nachweisen, dass der zeitversetzte Rüstungsaufschwung nicht nur infrastrukturelle Gründe hatte. Vielmehr war er im heutigen Niedersachsen bereits in der Weimarer Republik angelegt und hatte seine Grundlagen in den frühen, unter Verletzung der Abrüstungsbestimmungen des Versailler Vertrages betriebenen Aufrüstungsbestrebungen der Militärs. Die „Flucht aufs Land und in die Provinz“, insbesondere in das bis 1943 nur untergeordnet mit Rüstungsaufträgen bedachte Nordthüringen, war hingegen einzig aus der Not des alliierten Bombenkriegs und dem Streben nach Dezentralisierung der Kriegsmaschinerie erwachsen, ohne nachhaltige Auswirkungen auf die Zeit nach dem Krieg. Zur Verdeutlichung dieser in Schüben vollzogenen Entwicklung werden die Steuerungsmechanismen aufgedeckt und die an dem Prozess beteiligten administrativen Entscheidungsinstanzen auf politischer und militärischer Ebene benannt. Darüber hinaus wird die Frage nach Verantwortung, Schuld und Täterschaft, insbesondere von Industrie und Wirtschaft, angesprochen.

Auch KZ-Häftlinge werden eingesetzt

Nachdem die Quelle ausländischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener nahezu versiegt war, griffen die Unternehmen verstärkt auf das letzte noch verbliebene Arbeitskräftereservoir zurück und integrierten in
zunehmendem Maße KZ-Häftlinge, zum Teil in Baracken unmittelbar neben den Fabriken untergebracht, in ihren Produktionsablauf. In diesem Zusammenhang werden die unterschiedlichen Lebens- und Existenzbedingungen in den Fabriken und in der Vielzahl an Untertagebaustellen der SS untersucht und bestehende Unterschiede aufgezeigt. Abschließend wird erörtert, ob es ein gezieltes Programm der „Vernichtung durch Arbeit“ gab, also der Einsatz von Häftlingen Mittel zum Zweck ihrer Vernichtung war, oder ob die Vernichtung eine einkalkulierte, nicht aber vorsätzlich und willentlich herbeigeführte Folge des Zwangsarbeitereinsatzes war.

Der Band schließt eine wichtige Lücke in der heimatkundlichen Literatur, enthält zahlreiche neue, bisher kaum bekannte Fakten und ist ein Muss für alle am Thema Interessierten.

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Frank Baranowski (2013): Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands von 1929 bis 1945. Südniedersachsen mit Braunschweiger Land sowie Nordthüringen einschließlich des Südharzes – vergleichende Betrachtung des zeitlich versetzten Aufbaus zweier Rüstungszentren. Festeinband 24 x 17 cm, 608 S., 273 Abb., darunter 260 Fotos, Verlag Rockstuhl, Bad
Langensalza, ISBN 978-3-86777-530-4, 49,95 €,
http://www.verlag-rockstuhl.de/epages/63713257.sf/de_DE/?ObjectID=30277519

Spurensuche Harzregion e.V.
Dr. Friedhart Knolle
www.spurensuche-harzregion.de



—-- c4harry

Montag, 18. November 2013

Zerfällt die deutsche Arbeitgeberlandschaft?

Aktuelles Schwerpunktheft der WSI-Mitteilungen

Zerfällt die deutsche Arbeitgeberlandschaft? Wissenschaftler beleuchten Entwicklung der Verbände

Das System der Tarifverträge ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten löchriger geworden. 1998 galten Tarifverträge noch für 76 Prozent der Beschäftigten in Westdeutschland und für 63 Prozent in Ostdeutschland. 2012 lag die Tarifbindung dagegen nur noch bei 60 Prozent im Westen und 48 Prozent im Osten. Das liegt nicht nur an einem geringeren Organisationsgrad der Arbeitnehmer, sondern auch an Erosionserscheinungen auf der Arbeitgeberseite. Wissenschaftler haben in der aktuellen Ausgabe der WSI-Mitteilungen Fakten zusammengetragen und die Auflösung traditioneller Strukturen untersucht.*

Zum Vertragsschluss braucht es immer zwei. Wenn bestehende Unternehmen aus dem Arbeitgeberverband austreten, in die so genannte OT-Mitgliedschaft (OT = ohne Tarif) wechseln oder neue Unternehmen gar nicht erst eintreten, fehlt Arbeitnehmerorganisationen der Ansprechpartner. PD Dr. Martin Behrens, Forscher am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, unterscheidet zwischen einer äußeren und einer inneren Erosion der Arbeitgeberverbände.

Mit äußerer Erosion ist gemeint, dass die Verbände Mitglieder verlieren. Beispielsweise büßte Gesamtmetall allein zwischen 1993 und 1996 über 20 Prozent seiner Mitgliedsunternehmen ein. Doch nicht nur Verbandsaustritte schwächen die Interessenvertretungen der Arbeitgeber. Längerfristig wirkt es sich auch aus, wenn durch natürliche Fluktuation ausgeschiedene Firmen nicht durch neue ersetzt werden können. Im Übrigen sind es nicht nur wirtschaftlich schwache Unternehmen, die den Verbänden den Rücken kehren, hat Behrens beobachtet. Es handelt sich also keineswegs um ein Phänomen, das vor allem angeschlagene Firmen betrifft, die sich Tariflöhne nicht leisten können.

Dazu kommt die innere Erosion der Verbände, die um die Jahrtausendwende eingesetzt hat. Unternehmen bleiben Verbandsmitglieder, scheiden aber aus der Tarifbindung aus. Behrens zufolge bietet gut die Hälfte der rund 700 Arbeitgeberverbände in Deutschland eine OT-Mitgliedschaft an. Meist ist dies die Reaktion auf vorangegangene Mitgliederverluste. Im Jahr 2010 hatten 42 Prozent der Mitgliedsunternehmen von Gesamtmetall den OT-Status. Allerdings entfallen auf diese Unternehmen nur 17 Prozent der Beschäftigten. Das heißt: Es sind eher die kleineren Unternehmen, die sich der Tarifbindung entziehen.

Im internationalen Vergleich ist Deutschland ein Sonderfall, wie Dr. Bernd Brandl von der Universität York in Großbritannien feststellt. Zwar ist das Organisationsniveau - etwa 60 Prozent der Beschäftigten arbeiten in Unternehmen, die in einem Arbeitgeberverband sind, um die 20 Prozent der Arbeitnehmer in einer Gewerkschaft - nichts Besonderes. Aber der Rückgang auf der Arbeitgeberseite ist ein deutsches Phänomen. Als eine Ursache betrachtet der Wissenschaftler die Strategie der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, auf die Dezentralisierung von Tarifverhandlungen zu drängen. "Somit entzieht sich der Verband sukzessive seine Existenzgrundlage, was sich in einem Rückgang an Mitgliedern manifestiert", so Brandl.

Nicht nur ihre tarifpolitische Funktion haben die Arbeitgeberverbände teilweise eingebüßt. Auch auf einem anderen Feld, nämlich beim politischen Lobbying, setzen zumindest größere Unternehmen heute auf eigene Zugänge, anstatt sich auf die Arbeit des Verbands zu verlassen, schreibt Dr. Rudolf Speth von der Universität Kassel. Der Experte für politische Kommunikation erklärt dies unter anderem mit der Auflösung traditioneller Netzwerke und der Globalisierung: Die Kontakte zwischen Parteien und Verbänden sind nicht mehr so eng wie in früheren Jahrzehnten und eine neue Managergeneration setzt andere Prioritäten. Nicht zuletzt, weil die Unternehmen auf internationalen Märkten agieren und ihnen die national organisierten Verbände weniger hilfreich erscheinen.

Allerdings wäre es zu einfach, alle Arbeitgeberorganisationen in einen Topf zu werfen. Sie unterscheiden sich von Branche zu Branche, was Auswirkungen auf die Beziehungen zu den Gewerkschaften hat. Entsprechend existieren nach den Analysen von Dr. Markus Helfen, Forscher an der Freien Universität Berlin, unterschiedliche Typen von Sozialpartnerschaft. So arbeiten Arbeitgeber und Gewerkschaften in der chemischen Industrie eng und meist geräuschlos zusammen, hier ragten "die sozialpartnerschaftlichen Arrangements durch Tiefe und Breite besonders" heraus; während die Auseinandersetzungen in der Metallindustrie häufig konfrontativer sind. Helfen spricht hier von einer "Konfliktpartnerschaft". Als brüchig oder nicht existent erweist sich die Sozialpartnerschaft dagegen in neueren Branchen wie den Industriedienstleistungen oder der Leiharbeit. Hier fehle es Gewerkschaften häufig an einem Gegenüber, das vertrauensvolle Kooperation ermöglicht, konstatiert der Forscher.

Wie lassen sich sozialpartnerschaftliche Institutionen wieder beleben, vor allem der auf Verbandsebene ausgehandelte Flächentarif in verwaisten Sektoren? Der Göttinger Arbeitsrechtler Manfred Walser zeigt Möglichkeiten auf, das Tarifsystem auf dem Weg der Gesetzgebung zu stabilisieren. So ließen sich die Hürden senken, die heute einer Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen entgegenstehen. Zudem sei es sinnvoll, Ausweichmöglichkeiten wie Leiharbeit und Werkverträge zu begrenzen.

*Schwerpunktheft der WSI-Mitteilungen: Zerfällt die deutsche Arbeitgeberlandschaft? Ausgabe 7/2013. Link zum Inhaltsverzeichnis: http://www.boeckler.de/index_wsi-mitteilungen.htm

Beitrag von Martin Behrens: Arbeitgeberverbände - auf dem Weg in den Dualismus?: http://media.boeckler.de/Sites/A/Online-Archiv/12364



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Mittwoch, 13. November 2013

Mindestlohn: 8,50 Euro pro Stunde sind kein europäischer Spitzenwert

Entgegen anderslautenden Medienberichten würde Deutschland mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde keinen europäischen Spitzenplatz einnehmen. Zu diesem Ergebnis kommt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung in einem aktuellen Vergleich der Mindestlöhne in Europa.

Nach Analyse des WSI-Mindestlohnexperten Dr. Thorsten Schulten "läge Deutschland mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde noch deutlich unterhalb des Mindestlohnniveaus in anderen westeuropäischen Staaten. Dies gilt erst recht, wenn man die entsprechende Kaufkraft des Mindestlohns berücksichtigt. Auch gemessen am Medianlohn, dem mittleren Stundenlohn, den Beschäftigte erhalten, stellen 8,50 Euro keineswegs einen ungewöhnlich hohen Wert da", betont Schulten.

Von den insgesamt 21 EU-Staaten, die über einen gesetzlichen Mindestlohn verfügen, liegt dieser in fünf Staaten oberhalb von 8,50 Euro (siehe Abbildung 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Hierzu gehören Luxemburg mit einem Spitzenwert von 11,10 Euro, sowie Belgien, die Niederlande und Frankreich mit Werten zwischen 9,07 und 9,43 Euro. Selbst im krisengeplagten Irland liegt der Mindestlohn mit 8,65 Euro noch oberhalb der in Deutschland derzeit diskutierten Marke.
Der Vergleich gesetzlicher Mindestlöhne gemessen in Euro wird zudem teilweise durch starke Wechselkursschwankungen verzerrt. Dies gilt insbesondere für Großbritannien, dessen nationale Währung gegenüber dem Euro in den letzten Jahren um mehr als 30 Prozent abgewertet hat. Ohne diese Abwertung würde der britische Mindestlohn heute ebenfalls bei mehr als 9 Euro liegen.

Für die Beurteilung der Höhe eines Mindestlohns muss darüber hinaus berücksichtigt werden, welche Kaufkraft mit dem Mindestlohn verbunden ist. Um die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in Europa zu berücksichtigen, hat das WSI die Mindestlöhne auf der Grundlage von Kaufkraftparitäten neu berechnet (siehe Abbildung 2 in der pdf-Version). Ein Mindestlohn von 8,50 Euro würde demnach in Deutschland einem Kaufkraftstandard (KKS) von 7,14 Euro entsprechen. Der kaufkraftbereinigte Mindestlohn in Deutschland würde damit etwa auf dem Niveau des Mindestlohns in Großbritannien und deutlich unterhalb der Mindestlöhne in Frankreich, den Beneluxstaaten und Irland liegen.

Schließlich ist von Bedeutung, wie sich der Mindestlohn jeweils zum nationalen Lohngefüge verhält. Letzteres kann mit dem so genannten "Kaitz-Index" gemessen werden, der den Mindestlohn als Prozentsatz des nationalen Medianlohns misst. Die entsprechenden Daten, die hierzu regelmäßig von der OECD veröffentlicht werden, basieren allerdings auf nicht-harmonisierten nationalen Datenquellen und können deshalb lediglich als Näherungswerte angesehen werden. Nach Angaben der OECD variierten im Jahr 2011 die Mindestlöhne gemessen an den Medianlöhnen von Vollzeitbeschäftigten zwischen 71 Prozent in der Türkei und 35 Prozent in Tschechien, wobei die Mehrzahl der Länder einen Wert um die 50 Prozent aufweist (Abbildung 3).

Für Deutschland hat WSI-Forscher Schulten die aktuellsten vorliegenden Daten aus der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet. Sie weist für das Jahr 2011 einen Medianlohn für Vollzeitbeschäftigte von 2.829 Euro brutto pro Monat aus. Bei einer 40-Stunden-Woche entspricht dies einem Medianlohn pro Stunde von 16,35 Euro. Dementsprechend würde ein Mindestlohn von 8,50 Euro im Jahr 2011 bei 52 Prozent des Medianlohns liegen. Berücksichtigt man darüber hinaus die Gehaltsteigerungen der Jahre 2012 und 2013, so entsprechen 8,50 Euro heute etwa 50 Prozent des Medianlohns. Mit diesem Wert befindet sich Deutschland lediglich im europäischen Mittelfeld.

Die PM mit Grafiken (pdf): http://www.boeckler.de/pdf/pm_wsi_ta_2013_11_06.pdf



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